Am Ende des vierten Jahres

2013

Kein Jahr ist wie das andere. Doch jedes Jahr hat seine schönen, sonnigen, lachenden Seiten, aber auch seine ärgerlichen, nachdenklichen und traurigen Seiten. Ich kann nicht sagen welche Seite 2013 mehr auf die Waagschale brachte.

Dieses Jahr sind wir wieder weit durch Deutschland gefahren. Hameln, Ulm, Beckdorf, Vlotho. In Vlotho ging es dann schon los mit dem großen Regen, der über Wochen einfach nicht aufhören wollte.

Auch wenn in Cornberg der Regen mitten durch den Stand floß, die Besucher kamen und hatten ihre Freude an dem Markt.

Einige Markterlebnisse möchte ich einfach mal wieder festhalten. In Sandbeck und Kromsdorf kamen Händler vom Markt auf mich zu und baten um eine Geschichte. Sie hatten wohl damit gerechnet, dass sie nun eine Geschichte für Kinder von mir bekämen und machten zu Anfang der Erzählung so ihre kleinen Kaspereien, doch nach wenigen Sätzen verstummten sie. Am Ende bleib der Satz : Das ist Erzählen? Einfach großartig, bitte erzähl uns noch eine Geschichte.

Braunfels, Büdingen, und Bienenbüttel es waren Märkte die kaum unterschiedlicher sein konnten. Wenn mich jemand fragen würde, welches mein Erlebnis des Jahres war, dann muß ich gestehen es war das Erzählerlebnis in Bienenbüttel. Der Veranstalter hatte immer so nette Überraschungsideen auf Lager. So kam er und wollte am Abend einem guten Freund eine Freude machen.Seine Frau hatte Geburtstag. Darauf zog einiges Marktvolk mit Musikbegleitung durch den Ort und Musik, Medikus und Erzählerin unterhielten im Garten des Geburtstagskinds für ca eine Stunde so mal eben die Partybesucher.

Am nächsten Tag fragte er mich, ob ich für eine Gruppe Jugendlicher erzählen könnte. Ich hab ihn angesehen und geantwortet mit einem Schmunzeln, dass ich ja wohl deshalb hier wäre. Gut mein Gesicht verzog sich sehr schnell und die Atmung veränderte sich auch sehr stark, als er mir sagte, dass sie kein Wort Deutsch könnten. Es wären Jugendliche aus ihrer Partnerstadt in Russland.

Ich hatte genau 20 Minuten um mir zu überlegen was ich nun tue. Der erste Gedanke war der beste. Ich griff zum Kamishibai, denn eine Geschichte mit Bilder zu erzählen ist in diesem Fall der beste Weg. Es war grandios. Die Gesichter in die ich sah sprachen für sich, ja die Dolmetscherin hatte wenig Arbeit. Geschichten gehen über Grenzen der Sprache.

Die Reise ging weiter durch Deutschland. Dötlingen, Hirschhorn, Lafferde und Heusenstamm.

Der Weltgeschichtentag ist der Tag der Erzähler. Walburga Kliem, Julia Dörrbecker und ich „feierten“ ihn dieses Jahr im teilweise verschneiten Taunus bei Walburga. Soviele an einem Tag Geschichten gibt es nur wenn wir 3 zusammen kommen.

Was allerdings meine bisherigen Zuhörerrekorde einstellte, dass war der Weihnachtsmarkt in Celle.

In 16 Tagen besuchten mich 32 Gruppen aus Kindergärten und Schulen. Es waren grob gezählt 750 kleine und große Menschen die mindestens einer Weihnachts-oder Wintergeschichte zuhörten. Ein echten Geschichtenfeuerwerk zum Jahresende.

Und was bleibt: ich werde weiter erzählen, da und dort überall wo Menschen sich die Zeit nehmen um eine geschichte frei und lebendig hören zu wollen.

Vielleicht sehen wir uns im Jahr 2014 oder vielleicht sehen wir uns wieder. Mich würde es sehr freuen.

 

Am Ende des dritten Jahres

 2012

Glück und Schicksal ist das Thema des Weltgeschichtentags 2013. Geschichten entstehen unter anderem aus Erlebten in der Vergangenheit, aus Träumen und sie werden meist mit viel Phantasie garniert.

Das Jahr begann für mich mit dem erfolgreichen Abschluß meiner Ausbildung zur Erzählerin. Am 10.Februar fuhr ich glücklich aus Crailsheim zurück und hatte meine Zertifizierung in der Tasche.

Die angedachte Zusammenarbeit von Ende 2011, mit Nino und Andreas, setzten wir zum ersten Mal bei der Mystica in Hameln um. Es wurde ein Erfolg und wir beschlossen, diese Arbeit aus zu weiten und im Sommer in Fehmarn fort zu führen.

Ostern kam ein bitterer Einschlag. Nino verstarb. Andreas fragte an, ob ich von nun an mit ihm zusammen arbeiten würde auf den Mittelaltermärkten. Ich bat um Bedenkzeit.

Ich hatte gut überlegt. Mein fester Entschluß :
Ab jetzt werde ich ein Boot besteigen, was erstmal nicht für mich gebaut wurde. Doch nun lag es halbwegs herrenlos am Ufer. Es gab da nur zwei Möglichkeiten, ich sehe zu, wie es langsam verrottet, oder ich benutze es, so wie der Erbauer es sich gedacht hat. Ein wenig hatte ich mir dies Boot ja schon angeschaut. Überlegt, ob ich es benutzen darf und kann. Zusehen, dass dieses Boot nicht untergeht, was Andreas und Nino gebaut hatten, dass sollte mein Dankeschön sein. Es sollte weiter genutzt werden, leicht verändert, aber dennoch so wie sie es sich erträumt und gebaut hatten.

So ging es recht bald nach Ulm zu einem wunderbaren Mittelaltermarkt. Der Ort, der Veranstalter, das Wetter, alles war so wie es sich jeder wünscht, der auf Märkte fährt.

Es folgten 10 Mittelaltermärkte in diesem Jahr, die meist über 2 bis 3 Tage gingen. Mal hatte ich auf den Märkten sehr viele Zuhörer und mal waren es nur Wenige. Auch wenn nur einmal ein einziges Kind Lust hatte, eine Geschichte zu hören, so erzählte ich ihm allein eine Geschichte genauso gern, wie einer Gruppe von 25 Kindergartenkinder.

 Ich werde bestimmt auch dieses Jahr über Kinder schmunzeln, so wie ich sie in diesem Jahr erlebt habe. Solche, die mit Freunden oder den Geschwistern zum Hören kommen, aber eigentlich keine rechte Lust dazu haben. Aber wenn sie dann zum Wiederholungstäter werden, habe ich das größte Ziel erreicht, was sich eine Erzählerin erträumt: strahlende Kinderaugen die mit in die Geschichte eintauchen.

Im Sommer hatten wir 5 Wochen in Fehmarn geplant. Hier arbeitete ich mit festen Erzählzeiten und sehr schnell hatte es sich auf der Insel herumgesprochen, dass es eine Erzählerin auf dem Katharinenhof gab. Mit jeder Woche kamen mehr kleine und große Besucher um Geschichten zu hören. Andreas und ich fingen an kleine Geschichten als Improtheater in das laufende Marktgeschehen ein zu flechten. Wir und die Besucher bekamen Spaß an der Art, Geschichten so zu erzählen und zu erleben.  
Leider konnten wir nicht die volle Distanz bleiben. Wir wurden mit Dingen konfrontiert, die wir nie erwartet hätten, bis zu dem Punkt, dass verabredete Zusagen von Seiten des Veranstalters nicht eingehalten wurden.Wir entschlossen uns, den Markt zu verlassen.

 Da es doch immer wieder Gruppierungen gibt, die ein Marktleben nach Toresschluß mit unschönen Aktionen meinen stören zu müssen, ist Grete seid Oktober nun meine vierbeinige Begleiterin. Wir müssen uns zwar noch zusammenraufen, was wir so ab und an auch wirklich tun, doch die eine geht ohne die andere nicht mehr aus dem Haus.

 Was mir immer wieder Freude bereitet, sind Kleinkunstabende für Erwachsene. Anfangs ist das Publikum sehr besorgt, dass ich zu wenig Licht zum Vorlesen habe. Ich würde mir die Augen verderben. Wenn ich dann sage, dass auf dem Plakaten zu einem Erzählabend eingeladen wurde und ich nicht vorlesen werde, sondern frei erzählen werde, sehe ich meist in fragende, skeptische und ungläubige Gesichter. Doch schon während ich die erste Geschichte erzähle, kann man eine Stecknadel fallen hören.

 Ich habe meinen neuen Beruf in diesem Jahr erleben und ausleben dürfen. Manchmal wurde ich mit Skeptik eingeladen, weil man sich unter meinem Gewerke nur schwerlich etwas vorstellen konnte. Doch die Verträge die ich zu diesem Zeitpunkt schon für das nächste Jahr unterschrieben habe, sind teilweise mit Veranstaltern die mich erlebt und mich als Marktbereicherung schätzen gelernt haben.

 Das Jahr 2012 hat mich bestärkt, dass ich auch im nächsten Jahr sage: "Ich will ja einfach nur erzählen!"

Mir bleibt am Jahresende nur Eines noch zu sagen

Danke Nino und auf weiterhin gute Zusammenarbeit Großer

 

Am Ende des zweiten Jahres

 

2010:

„Ich will ja nur erzählen! “

Mehr stand für mich nicht im Vordergrund, als ich mich 2010 zum ersten Mal mit der Idee des Erzählens befasste.

Ich beschloss einige Online-Workshops rund um das Thema „Erzählen“ zu buchen. Hier auf meiner Insel und in der näheren – oder auch weiteren Umgebung, sah ich für mich keine gute Möglichkeit mich mit Erzählern aus zu tauschen.

Sie mögen lachen, doch über diesen Austausch kommt man sehr wohl zum Erzählen. Walburga Kliem hat es geschafft mich so für das freie mündliche Erzählen zu begeistern, dass sehr bald fest stand, nur das kann MEIN neuer Weg sein.

Auf einen Austausch wollte ich nach allen Workshops nicht verzichten und diesmal war ich es wohl die Walburga mit der Idee infizierte, einen „Online-Erzälkreis“ zu gründen der langfristig laufen kann. Ja, es gibt ihn und es wird ihn weiter geben, ein herzliches Willkommen, wenn Sie Lust haben mit zu machen.


Ende 2010 war ein Erzählertreffen für den Weltgeschichtentag 2011 in Wanfried geplant.

Walburga Kliem, Ute Baden, Julia Dörrbecker und ich wollten einen Nachmittag für Kinder und einen Abend für Erwachsene gestalten.

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Frühling 2011:

Mit zitternden Knien, was mir 1 ½ Stunden mehr Fahrzeit als geplant einbrachte, fuhr ich nach Wanfried. Ja, ich war so in meine Geschichten vertieft, dass ich gut 60 km später erst bemerkte, dass ich das Autobahnkreuz zur A 7 schon längst hinter mir hatte. Ich bin heute noch all meinen Schutzengeln dankbar und hoffe ich habe keinen verloren. Und ich verspreche: Es wird nie wieder passieren!!

Der 19. März war für Julia und mich der erste Tag vor großem Publikum. Dieses Publikum und unsere beiden „alten Erzählhasen“ hatten uns nun endgültig das Tor in die Erzählwelt geöffnet.

 

Als Erzählerin in einem Kindergarten eroberte ich die Herzen der Kinder. Montags kam ihre Marie und ich hatte ganz schnell Zuhörer und begeisterte Erfinder in meiner Geschichtenwerkstatt. Bald mussten Listen geführt werden, damit alle Kinder an einem Werkstatt-Termin teilnehmen konnten.

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Mitte Juni entstand folgende wahre Geschichte:

 

Leon ist doof, Leon spricht nicht

 Es ist 12.30 Uhr ich bin auf dem Weg auf meine Insel. Kurz vorm Überqueren des Wehrs, kommen mehre eher unübersichtliche Kurven und die Straße steigt leicht zum Wehr an.
In der unübersichtlichsten großen Linkskurve, sehe ich ein grünes Bobbycar mit einem Jungen darauf auf mich zukommen. Vom Gefühl her steh ich sofort mit beiden Füßen auf der Bremse . Da man hier kein hohes Tempo fahren kann, haut es mich in die Gurte und ich stehe sofort. Das nächste Geräusch ist ein leichtes Pock.
Ich sitz im Auto, mir klappern alle Knochen. „Bobbycar, Bobbycar, Bobbycar“ hör ich nur.
Was mir durch den Kopf schießt? Es ist jetzt noch unmöglich das ich mich an irgendetwas erinnere.

Ich schallte die Warnblicker ein. Mache den Wagen aus und Steige aus. Genau vor dem Wagen sitz ein etwa 3-4 Jahre alter Junge auf einem grünen Bobbycar, er hat eine blaue Hose und ein gelbes T-Shirt an, so wie hellblaue Gummischuhe.
Der Junge murmelt monoton weiter „ Bobbycar, Bobbycar..“

 Hast Du Dir weh getan?“ frage ich.
 Bobbycar, Bobbycar..“

 Wie heißt Du?“ ist meine nächste Frage.
Bobbycar, Bobbycar..“

Der Junge ruckt mit seinem Bobbycar vor meinem Auto weg und will weiter fahren. Ich halte ihn fest und erkläre ihm, dass es zu gefährlich ist, er dürfe nicht auf der Straße fahren. Der Junge sieht mich fragend an „ Bobbycar?“ Ich antworte ihm in den immer noch völlig quer laufenden Gedankengängen „Ja, dein Bobbycar hat dann auch ein Aua.“
Der Junge steigt von seinem knall grünem Gefährt und will so weiter gehen. Ich halte ihn fest, erst jetzt sehe ich, dass er ein behindertes Kind ist.
Zum ersten Mal verfluche ich den Augenblick an dem ich kein Handy dabei habe.Mir ist das Ding stets zu lästig, darum bleibt es zu 95% des Monats auf meinem Schreibtisch liegen.
Ich stehe mit einem kleinen behindertem Kind mitten in einer Kurve in einer fast totalen Einöde. Kurz vor dem Wehr, noch etwas die Straße hoch stehen zwei Häuser. Hier habe ich schon öfters Kinder gesehen.
Doch wir müssen hier aus dieser Kurve raus! 

Das Bobbycar in der einen Hand und den Jungen in der anderen. Bringe ich ihn ein Stück vor meinem Auto auf einen recht großen Grünstreifen. Jetzt erst ist mir bewusst was ich dann tat, ich stopfte unter sein Bobbycar einen recht dicken Ast. Setzte den kleinen Kerl darauf und sagte ihm er soll ja dort sitzen bleiben und auf sein Bobbycar aufpassen, damit es kein Aua bekommt. Ich komme sofort , aber ich muß mein Auto von der Straße fahren, sonst hat das ein Aua. Der Junge verstand mich, da bin ich mir jetzt sicher.
Ich geh zum Auto und ermahne ihn immer wieder ja auf dem Bobbycar sitzen zu bleiben. Bobbycar, Bobbycar..“ hör ich ihn .Mit weit geöffneter Fahrertür starte ich meinen Wagen und setze ihn rückwärts ebenfalls auf den Grünstreifen. Dann schließe ich den Wagen und laufe wieder zu dem Jungen. 
Ich frage ihn nochmals, ob er mir sagen kann, wie er heiße. Endlich sagt er etwas anderes, aber verstehen kann ich ihn nicht.

Da er aus der Richtung vom Wehr kam, gehe ich mit ihm an der Hand und dem Bobbycar an der anderen Hand auf diese Häuser zu. Ich hoffe inständig, er reißt sich nicht los. Erzähle ihm alles mögliche, auch das wir jetzt gucken wollen, wo seine Mama ist. Auf dem Grundstück bei den Häuser reißt er sich los, oder ist es reine Erleichterung endlich gesicherten Boden unter den Füßen zu haben, dass meine Kraft in der Hand nachlässt.. Er stürmt zur Klingel und drückt mehrfach. Gleichzeitig rappelt er am Türknauf. Ich bin mir sicher, hier muss er wohnen. Doch die Türe öffnet sich nicht. Wir gehen um das Haus herum. Die Garagen sind weit geöffnet und stehen leer.


Und nun?, denke ich.
Zurück und in der Linkskurve abbiegen, dort stehen nochmals ein paar Häuser. Und oberhalb davon ist das große Rittergut.
Das Bobbycar in der einen und den Jungen in der anderen Hand will ich zurück gehen.. Jetzt hatte ich eine Weile nachgedacht und nicht mit dem Jungen gesprochen, nun fängt er an zu ziehen und zu reißen. Rede, rede was das Zeug hält, war der Blitzgedanke. Aus dem Reden wurde Singen. Ich sang sinnlose Verse nach irgendeiner klingenden Tonfolge. Der Junge wurde ruhig und ging mit

Bei den nächsten Häuser spreche ich schon von weiten einen älteren Herrn an, ob er diesen Jungen kennen würde. Nein, den würde er nicht kennen. In meiner mittlerweile argen Verzweiflung rufe ich „So ein Kerl kann doch nicht vom Himmel gefallen sein, damit er mir ins Auto fährt da unten in der Kurve“ Irgendwie scheint der Mann zu sehen, dass es wohl eher eine etwas ernstere Lage war, in der ich mich befand. Er kam auf uns zu und meinte, ich solle doch zum Rittergut gehen, dort wären immer sehr viele Kinder. Wir machten uns auf den Weg. Das Gut ist heute noch ein bewirtschaftetes sehr sehr großer Rittergut. Hier sind etliche Unterkünfte für Familien, die dort bei der Gemüseernte übers Jahr helfen.

Gleich den nächsten Mann auf dem Gut spreche ich an, aber er versteht mich nicht.
Wir gehen weiter zum großen Innenhof. Wieder spreche ich einen Mann an. Er sagt, dass vorn im Langhaus viele Kinder seinen, vielleicht würde ihn dort jemand kennen.
Noch viele Meter haben wir singend zurück gelegt, denn sobald ich aufhörte kam „ Bobbycar, Bobbycar..“

Einige Kinder unterbrachen ihr Spiel und riefen, „Da kommt Leon!“
Auf dem Vorplatz des Langhauses spielten viele Kinder und hinten an einem Brunnen war ein großer Tisch an dem einige Frauen saßen. Sie hatten sichtlich gerade alle zusammen gegessen. Eine Frau mit russischem Akzent kommt uns entgegen und nimmt mir Leon ab.

Ich erzähle der Frau was passiert ist und sie ruft es gleich den anderen Frauen zu. Sie bitten mich an den Tisch, weil sie sahen, dass ich angefangen habe zu zittern. Sie fragten, was ich trinken möchte. Das Glas Wasser tat in diesem Augenblick richtig gut.
Ich erfuhr, dass sie eine Kindergartengruppe sind, die hier 4 Tage eine kleine Freizeit verbringen. Und Leon ist ein autistisches Kind. Das er nur mit Gesang weiter gehen wollte war ihnen klar, seine Mutter würde ja auch viel mit ihm singen.
Jeder fragte sich, wie Leon an das Bobbycar gekommen war und niemandem war aufgefallen, dass er sich so weit entfernt hatte. (Nach meiner Berechnung der Entfernung vom Gut, muss er mindestens schon eine halbe Stunde ohne Aufsicht unterwegs gewesen sein, aber ich sagte nichts dazu.)
Leon würde doch nur den Sandkasten lieben.

Als ich ging fragten mich einige Kinder, was den mit Leon wäre. Die blödeste Antwort die ich geben konnte, habe ich ihnen halb entgegen geworfen: „Fragt Leon, der solls euch erzählen , ich muss jetzt gehen.“
Dann hörte ich: „Leon ist doof, Leon spricht nicht.“

Die Geschichte könnte hier zu ende sein, ist sie aber nicht. Weil ich selber autistische Kinder habe, und weil es mich immer bis in die letzte Fußspitze ärgert, wenn ich Sätze in der Art höre.

In einer dreiviertel Stunde musste ich umgezogen als Marie die erzählende Müllerin in einem Kindergarten sein. Die Requisiten musste ich mir auch noch zusammen suchen. Ich hatte es wirklich sehr eilig. Der Weg zum Kindergarten führt wieder an dem Rittergut vorbei.
Im Kindergarten erzähle ich die Geschichte von Herrn von Ribbeck unterstützt mit Bildern aus einem wunderschönen Bilderbuch. Ein Kind sagt, der alte Mann sieht glücklich aus, weil er die Birnen verschenken kann und die Kinder ihn immer anlachen.
Der Satz löst was in mir aus.

Auf dem Rückweg beschließe ich nochmals am Gut zu halten. In voller Gewandung gehe ich auf die Mitarbeiterinnen an dem großen Tisch zu und sage, dass ich ihnen etwas schenken möchte. Ich erzählte was ich mache und ich würde den Kindern gern ein oder zwei Geschichten schenken.
Die Blicke die ich bekam waren mit Fragezeichen nur so durchzogen.
Das war jetzt eine Nummer, mit der ich sie schlicht in ihrer Denkweise überfordert hatte. Eine weitere Mitarbeiterin wurde informiert und kam dazu. Wir kamen über ein, daß ich kurz vor dem Abendessen kommen sollte. Wir wollten uns unter einen der großen alten Bäume treffen.

Leider kam kurz vorher ein Platzregen vom Himmel, so dass 20 Kinder in einem recht kleinen Raum zusammen saßen.
Ich stellte mich bei den Kindern vor.
Einfach war es nicht die Flöhe doch einigermaßen ruhig zu halten, es waren dann 3 Geschichten die ich erzählt habe.

Am Ende habe ich sie gefragt, ob es ihnen gefallen habe. Sie waren begeistert. Und fragten, ob ich wieder kommen könnte. Diese Frage ließ ich offen. Aber eine Mitarbeiterin fragte um Kontaktdaten.

Ich sagte zum Abschied: „Wisst ihr, wenn ich heute Leon nicht kennen gelernt hätte, dann hättet ihr heute nicht diese schöne Zeit gehabt. Seid stolz auf Leon und seid froh, dass ihr Leon habt.“
Ein Kind sagte: „Meinst du unseren doofen Leon?“ Ein anderes Kind stubst es an und sagt:“ Leon kann gar nicht doof sein, weil er hat uns doch die Frau geholt.“


Und so wahr ich hier sitze und alles aufgeschrieben habe , die Geschichte ist heute passiert. Wie sollte sonst das Glas Gelee, was die Kinder selbst gemacht haben hier auf meinen Schreibtisch kommen. 

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Sommer und Herbst 2011:

Mein allererster Mittelaltermarkt bei dem ich als Erzählerin tätig war, fand in Oberursel Anfang August statt. Walburga hatte mich eingeladen. Eine grandiose Erfahrung. Ein Markt der im Regen regelrecht ersoff. Doch die gute Stimmung auf dem Markt stieg mit jedem Centimeter Matsch die sich der Regen nahm.

Wir haben erzählt und erzählt, große und kleine Zuhörer waren begeistert.

Ob bei Steinhude in Flammen, dem Gemeindefest in Petershagen/Lahde, einigen Mühlenfesten, bei Feuer und Flamme in Windheim oder bei der Pit 2011 immer hatte ich applaudierende Zuhörer, die anfangs auch mal skeptisch waren.

Was ich stets erklären musste: „Nein, ich lese nicht vor. Ich benutze Bücher nur um schöne Geschichten zu finden. Ich erzähle frei wie es schon vor tausend Jahren gemacht wurde.“ - „Ach ?“

 

Im September begann ich mit der Ausbildung zur Erzählerin, an der Goldmund Akademie.

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Winter 2011:

Der Dezember schenkte mir ganz besondere Tage. Ich erzählte auf dem Mittelalter-Weihnachtsmarkt in Hameln. Auch wenn das Wetter nicht immer die beste Laune zu ließ, sie konnte mir nicht verdorben werden. So viele ganz ungewöhnliche, unverhoffte und wunderschöne Eindrücke und Erlebnisse habe ich mitgenommen.

 
Tausend Taler am Abend zu besitzen ist kein Reichtum,
  Reichtum liegt im Herzen und in den Sinnen

 
Mit einem Ausschnitt aus dem 19.Kapitel von der Geschichtensammlung rund um Jonas und seinem Großvater, möchte ich Sie über den Markt führen:

 

........Opa und Enkel schlendern jetzt in ihrem Tempo durch die mit Lichter überflutete Stadt. 
Mit einem Mal zieht der Knirps an der Jacke des Großvaters: „Guck mal da. Was ist das?“ 
Eine kleine enge Gasse war nur mit wenig Lichtern beleuchtet. Nicht so grell wie alle anderen Straßen in der Stadt. Der schon aufkommende Vollmond läßt das diffuse Licht irgendwie gespenstisch und geheimnisvoll erscheinen.  
Eine Mittelaltergasse.“ erklärt der Großvater. Und schon biegen die Beiden ab.

 Holzbuden, die nicht mit bunten Farben bemalt waren standen dicht an dicht entlang der schmalen Gasse zwischen zwei hohen alten Gebäuden. 
In den Buden brennen Kerzen. Das Flackern der Kerzen und ihr Schattenspiel in den Hütten verzaubern die Gedanken des Kleinen.
Ein Puppenmacher schnitzt an einem Puppenkopf und feine Späne fliegen zu Boden. Deutlich ist schon die Nase zu erkennen.
Der Seiler dreht auf der anderen Seite der Gasse gerade ein neues Seil.
An einem Stand stehen Männer und Frauen und prosten sich lautstark zu, der Mann hinter dem Tresen macht Witze mit den Leuten die dort sind, auch Opa muss lachen.

Dann gab es einen kleinen Mann mit einer grauen Fellmütze, die weit ins Gesicht reicht, als Umhang dient ihm ein langhaariges Fell. Jonas besieht sich den kauzigen Kerl genau, der ebenfalls mit den Besuchern der Gasse seine Späße zu treiben scheint.
In dem Wagen, in dem eine junge Frau steht, kann Jonas nicht genau hineinsehen, um zu sehen was dort angeboten wird. Der Wagen ist zu hoch.

 Gleich danach sitzt in einer Hütte eine Frau und erzählt einem Mädchen eine Geschichte. Er bleibt stehen, zögernd geht er auf die kleine Hütte zu, denn aus der Ferne konnte er nicht gut hören, welche Geschichte gerade erzählt wurde. Der kleine Junge taucht mit all seinen Sinnen in die Geschichte mit ein. Er hört nichts mehr von dem Treiben in der kleinen Gasse. Jonas setzt sich sogar für eine weitere Geschichte in die kleine Holzhütte. Der Großvater holt sich derweil bei dem lustigen Mann hinter dem Tresen ein warmes Getränk.

Anschließend kommen die Beiden nur wenige Schritte weit, denn da entdeckt Jonas den Stand mit lauter strahlenden Edelsteinen. Alle Farben die er sich nur denken kann liegen vor ihm. Die Augen des Jungen funkeln mit den Steinen um die Wette. 
Da entdeckt er eine merkwürdige Konstruktion auf einem separatem Tisch. Er zupft Opa an seinem langen Schal und fragt leise: „Opa, was ist das?“ 
Der Alte ließt das Schild: Achat schleifen für Kinder. „Damit kannst du schleifen.“ 
Die fragenden Augen des Jungen lassen nur eine Antwort des Großvaters zu.
Der Mann hinter seinem Verkaufstisch in der Bude erhebt sich, um dem Knirps das Schleifen einer Achatscheibe zu erklären. Jonas greift zur Hand des Großvaters und drückt sie ganz fest. Denn der Mann mit dem Fuchspelz und den Ketten aus Zähnen und dunklen Perlen um dem Hals wurde groß wie ein Riese.

Autsch. Verfluchte Hundehütte.“ Der Riese hatte sich den Kopf gestoßen, als er nach vorn kommen wollte. Da der Riese nicht mehr viele Haare auf dem Kopf hat, konnte Jonas sehen, dass er sich schon unzählige Male den Kopf gestoßen haben musste. Jonas versucht sein Lachen nicht gänzlich zu zeigen, denn eine Begegnungen mit solch einem Riesen, der sich gerade den Kopf gestoßen hatte, hatte Jonas noch nie gehabt.
Der Riese war aber keiner von den Riesen, die Jonas aus den Erzählungen von seinem Papa und Opa kannte.
Mit ruhiger Stimme erklärt er wie Jonas vorgehen muss.

 Jonas sucht eine weile in dem Kästchen, bis er seine Achatscheibe gefunden hat. Immer wieder dreht er eine Scheibe nach der anderen in der Hand um, hält sie gegen das Licht, besieht sich genau die Größe, bis er sagt: “Die hier!“ Sie leuchtet in vielen Blautönen und in der Mitte sieht man einzelne Kristalle. 
Die mächtigen Hände des Steineschleifers zeigen wie der Junge nun selbst die Ränder seines Achates schleifen kann, und wie er auf seine Finger acht geben muss. 
Jonas dreht ganz langsam und mit Bedacht die Achatscheibe um den Schleifkopf der Maschine. Er versichert sich ab und an, ob es gut ist was er macht. Das Kopfnicken und das zufriedene Gesicht des Steineschleifers, sagt genug.  
Als Jonas die groben Ränder des Schmuckstücks vollständig abgeschliffen hat, bekommt es noch eine Kupferbandeinfassung um die Achatscheibe und durch ein winziges Loch ein Lederband gezogen.

  Nun junger Schleifer, bist du zufrieden mit deinem Werk?“ fragt ihn der Meister der Steine und zeigt ihm das fertige Stück. Ein strahlendes „Ja“ ist die Antwort.  
Jonas streckt die Hand aus um seinen Anhänger entgegen zu nehmen. Doch so einfach bekommt er ihn nicht ausgehändigt.  

Der Meister der Steine greift zu Trommelstöcken und schlägt einen ordentlichen Trommelwirbel auf seiner großen Trommel, die er unbemerkt für Jonas herbei geholt hat. Dann ertönt eine wahrlich mächtige Stimme, die nur einem Riesen gleich kommen kann: „ Hört ihr Bürger dieser Stadt. Jonas hat so eben, seinen ersten Achat selbst geschliffen.“ Und damit übergibt er Jonas feierlich seinen Anhänger. Jonas greift in die große raue Hand und entnimmt dieser mit einer gehörigen Portion Verlegenheit und Stolz seinen Anhänger.
Sofort gibt er ihn an seinen Opa weiter.
Pass gut darauf auf, der Anhänger passt zu Mamas Augen wenn sie lacht.“

 - Herzlichen Dank an Andreas -

 

   
Am Ende des Jahres steht fest: Ich will immer nur weiter erzählen!

 
Nun kann 2012 kommen, ich freue mich darauf. Einige Termine stehen schon fest, aber es können noch gerne einige dazu kommen. Sehen wir uns ?